Autor des Kommentars: Alfred Dandyk
Precht: Do be do be do oder Was ist Freiheit?
In Richard David Prechts Bestseller "Wer bin ich - und wenn ja, wie viele?" gibt es ein Kapitel mit dem Doppeltitel "Do be do be do - Was ist Freiheit?" Hier setzt er sich mit Sartre auseinander. Er berichtet, daß ihm der Name Sartres auf einer Steintafel begegnet sei. Darauf stand:
To be is to do - Sokrates
To do is to be - Sartre
Do be do be do - Sinatra
Precht will uns erklären, warum Sokrates und Sartre falsch liegen und Sinatra recht hat. Soweit der Rezensent den Ausführungen folgen konnte, hat er verstanden, daß einzig Sinatras "do be do be do" dem Stand der Forschung entspricht. Sowohl Sokrates als auch Sartre irren, weil sie nur über einen eingeschränkten Horizont verfügen. Der Rezensent hat sich folgende Fragen gestellt und die entsprechenden Antworten gefunden: Ist Precht ein Sokrates? Antwort: Nein! Ist Precht ein Sartre? Antwort: Nein! Ist Precht der Frank Sinatra der Philosophie? Antwort: Auch nicht! Was ist er dann? Er ist der Rex Gildo der Philosophie! Hossa! Hossa! Hossa! Ho-Hoi!
Ehre, wem Ehre gebührt! Richard David Precht ist ein erfolgreicher Schriftsteller. Darüber muß man sich nicht wundern, denn auch Rex Gildos Schnulzen fanden viele Verehrer. Die Lektüre seines Bestsellers "Wer bin ich - und wenn ja, wie viele?" macht seinen Erfolg verständlich. Er schreibt gut; der Text liest sich flüssig, ist anschaulich und lebensnah. Der Leser hat das Gefühl, sich einem Strom flüchtiger Gedanken anzuvertrauen und anstrengungslos durch die Prechtsche Welt der Philosophie zu reisen. Der Leser sollte allerdings einen Fehler vermeiden: Er sollte nicht zu genau über das Gelesene nachdenken. Denn dann bekommt er Probleme. Der Rezensent muß gestehen, daß er genau diesen Fehler begangen hat. Das ist ihm schlecht bekommen.
Precht hat sich in diesem Buch die Aufgabe gestellt, die Philosophie verständlich zu machen. Das ist ihm gelungen. Selbst die schwierigste Frage verwandelt sich durch seine Feder zu einer Aufgabe für den Kindergarten. Zum Beispiel diskutieren die Philosophen seit langem darüber, worum es in "Das Sein und das Nichts" geht. Für Precht ist das kein Problem:
"Der Titel "Das Sein und das Nichts" hat eine recht einfache Bedeutung. Der Mensch, so Sartre, ist das einzige Tier, das sich auch mit dem beschäftigen kann, was es nicht gibt. Andere Tiere haben kein komplexes Vorstellungsvermögen, sie können nicht an das denken, was nicht mehr ist, und auch nicht an das, was noch nicht ist."
Das klingt gut! Das ist verständlich! Auch der Rezensent war beeindruckt. Doch dann beging er den genannten Fehler: Er fing an, über das Gelesene nachzudenken: Hat Sartre das wirklich geschrieben? Hat Sartre wirklich behauptet, der Mensch sei das einzige Tier mit einem komplexen Vorstellungsvermögen? Der Rezensent kann sich nicht erinnern, so etwas bei Sartre jemals gelesen zu haben.
Handelt es sich hier um einen didaktischen Kniff, der den Zweck verfolgt, einen schwierigen Sachverhalt verständlich zu vermitteln? Darf man das? Darf man einem Autor eine Behauptung unterstellen, die dieser niemals gemacht hat? Darf man, um sich interessant oder verständlich zu machen, die Wahrheit verfälschen?
In der Folge versucht Precht, seinem Leser Sartres Freiheitstheorie zu erläutern. Dabei verfolgt er eine verwirrende Doppelstrategie. Einerseits erklärt er, Sartre differenziere zwischen der Entwurfsfreiheit und der Willensfreiheit, andererseits rückt er Sartre immer wieder in die Nähe der klassischen Willensfreiheit, indem er gegen diese argumentiert.
"Schon Kant hatte dem Willen eine solche gewaltige Kraft zugetraut: sich vernünftig und frei zu entscheiden."
"Doch was bleibt von diesem Möglichkeitssinn, wenn es den freien Willen, etwas davon umzusetzen, gar nicht gibt?"
Indem Precht Sartres Denken auf der einen Seite von der klassischen Willensfreiheit abgrenzt, aber auf der anderen immer wieder gegen diese klassische Willensfreiheit argumentiert, weiß der Leser am Ende nicht, worum es eigentlich geht. Argumentiert Precht gegen Sartre oder gegen die klassische Willensfreiheit im Sinne Kants?
"Allein mit der Freiheit des Willens ist das so eine Sache. Wie wir bereits gesehen haben..., sind die meisten Hirnforscher in dieser Frage heute völlig anderer Meinung als Sartre."
Wohlgemerkt, dieser Satz steht nach einer Textpassage, in der Precht richtigerweise Sartre von der Willensfreiheit abgrenzt. Mit diesem Verwirrspiel läßt er einen konfusen Leser zurück, der, wenn er versucht, über das Gelesene nachzudenken, sich nur noch am Kopf kratzen kann. Aber der Leser hat eben den genannten Fehler begangen. Er soll ja nicht nachdenken, sondern sich vom Strom der Gedanken forttragen lassen, forttragen ins Reich der schönen Worte und des leeren Geredes.
Wahrscheinlich hat sich bei Precht der Eindruck verdichtet, daß Sartre am Ende selber nicht wußte, was er eigentlich sagen wollte. Und so lautet Prechts Beschluß, daß weder die Entwurfsfreiheit Sartres noch die Willensfreiheit Kants real sind. Real ist nur das Durcheinander: "Do be do be do". Deswegen sein Plädoyer für Sinatra und gegen Sokrates und Sartre.
"Was ist Freiheit?" Eine große philosophische Frage verlangt eine große Antwort. Wie immer findet Precht auch hier die passenden Worte. Worte, die es verdient haben, historisch genannt zu werden:
"Die Antwort auf die Frage, ob die psychische Grundausstattung das Handeln bestimmt oder das Handeln die Psyche, lautet also: sowohl als auch. Meine Handlungen und meine Hirnzustände durchkreuzen sich munter wechselseitig."
Dem Rezensenten stehen solche Sätze leider nicht zur Verfügung. Er kann nur antworten: Hossa! Hossa! Hossa! Ho-Hoi!